Übung im Öffentlichen Recht für Vorgerückte
LS Prof.Dr. Ronellenfitsch
Besprechungsfall 4
Der Algerier A reiste 1994 über Frankfreich mit einem Besuchervisum
in die Bundesrepublik Deutschland ein und suchte um Asyl nach. Das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte es
ab, A als Asylberechtigten anzuerkennen. Zur Begründung wurde angegeben,
daß A durch die in Algerien bestehenden bürgerkriegsähnlichen
Zustände nicht stärker gefährdet sei als andere. Sein Vorbringen,
er stünde als junger Mann in der Gefahr, zur örtlichen Miliz
seiner fundamentalistischen Glaubensbrüder gepreßt zu werden,
sei unerheblich. Selbst wenn man eine Verfolgungsgefahr annähme, müsse
A nicht in seine unmittelbare dörfliche Heimat zurückkehren,
sondern könne in die Hauptstadt ausweichen. Die Klage des A gegen
diese Entscheidung wurde durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts
abgewiesen.
Die zuständige Ausländerbehörde der kreisfreien Stadt
S forderte daraufhin A auf, die Bundesrepublik zu verlassen, gewährte
ihm aber auf Fürsprache einer Bürgerinitiative eine befristete
Duldung mit der Auflage, sich in S aufzuhalten und das Stadtgebiet nicht
zu verlassen, sich alle drei Tage bei der Behörde zu melden und keine
Arbeit aufzunehmen, damit sein Aufenthalt sich nicht verfestige. Die Pflicht,
nach Algerien zurückzukehren, bleibe aufrechterhalten. Eine solche
Duldung wurde in der Folge noch wiederholt ausgesprochen.
A hielt die Auflagen nicht ein. Vielmehr zog er in die benachbarte Stadt
R zu der deutschen Staatsangehörigen D, die mittlerweile ein Kind
von A erwartet.
Am 15.08.1996 wurde die Duldung mit den genannten Auflagen letztmalig
zum 20.09.1996 verlängert. Rechtsanwalt L legte gegen diesen Bescheid
am 14.09.1996 Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig aus humanitären
Gründen eine Aufenthaltserlaubnis. Am 17.03.1997 wies die Widerspruchsbehörde
den Widerspruch als haltlos zurück. Zur Begründung wurden die
Auflagenverstöße angegeben, die der Behörde erst jetzt
bekannt geworden seien. Am 19.04.1997 lehnt die Ausländerbehörde
die Aufenthaltserlaubnis für A mit der Begründung ab, es sei
kein Gesichtspunkt ersichtlich, der für einen gesicherten Aufenthalt
in der Bundesrepublik Deutschland spreche. Zudem habe A die Ermordung ausländischer
Staatsbürger in Algerien ausdrücklich gebilligt.
Der Bescheid wird am 23.04.1997 zugestellt. Seit 24.04.1997 sitzt A
in Abschiebehaft, ohne daß L etwas davon weiß. Am 14.05.1997
soll A abgeschoben werden.
1. Hat der Widerspruch vom 14.09.1996 Aussicht auf Erfolg?
2. Welche rechtlichen Schritte kann L zugunsten seines Mandanten unternehmen?
Tübingen, 28.04.97